Das Gegenüber aussprechen lassen, während des Telefonats nicht kauen oder eine höfliche Grußformel im E-Mail-Verkehr sollten üblich sein. Dennoch scheinen angemessene Umgangsformen im Büroalltag auf der Strecke zu bleiben. Doch woher kommt der Abstand zu guten Manieren? Und was gehört sich (nicht)?
Eine Frage der Höflichkeit
Gutes Benehmen bläuen Eltern ihren Kindern bereits im Kindesalter ein. Bitte und Danke sind selbstverständlich im Umgang mit Mitmenschen. Auch verlangt die Erziehung, dass niemand sein gegenüber ungefiltert mit Emotionen „belästigt“. Und wer am Morgen Spuren seines Marmeladenbrots auf dem Hemd hinterlässt, der wechselt es, bevor es zur Tür hinaus geht. Warum also im Arbeitsalltag nicht an die Grundregeln der guten Kinderstube halten?
Es scheint zunehmend Usus zu werden, dass ein „Danke“ nicht mehr zur Konversationsnorm zählt. Dabei ist es bedeutend, wie Jochen Mai, Gründer der Karrierebibel, Bestsellerautor und Keynote-Speaker feststellt.
„Danke sagen ist das Schmiermittel aller sozialer Interaktion.“
Ein „Danke“ kann seiner Meinung nach wie eine Bezahlung für eine Geste sein, eine Motivation oder auch ein Erfolgsfaktor. Und es tut niemandem weh. In England gehört es sogar zum guten Ton, sich beim Aussteigen aus dem Bus beim Fahrer zu bedanken. Und es lässt sich kein Übeltäter pauschalisieren. Jeder Kollege könnte unmanierlich auffallen, wenn er nicht aufpasst. Eine Studie der University of Minnesota fand beispielsweise heraus, dass gerade intelligente Menschen häufig fluchen und unordentlich sind. Das sollte jedoch kein Freifahrtschein sein, um cholerisch auf Kollegen zu reagieren oder ungepflegt zum Meeting zu erscheinen. Auch das Homeoffice ist kein Grund für den Hoodie im Meeting, wenn es eher ein Hemd erfordert.
Das Ende des guten Benehmens?
Doch woher kommt es, dass Höflichkeiten und Anstandsregeln im Umgang mit anderen auf der Strecke bleiben? Einen Grund dafür legen Forschungen der Universität Florida offen. Deren Psychologen fanden heraus, dass Unhöflichkeit ansteckend ist: Wer unhöflich behandelt wird, neigt dazu, in den nächsten Begegnungen ebenfalls unhöflich mit anderen umzugehen. Sogar bis zu einer Woche nach dem negativen Ersterlebnis. Eine Kettenreaktion, die zur neuen Norm im Büro führen kann. Wer also auf dem Weg in die Arbeit im Straßenverkehr angepöbelt wird, gibt diese Wut tendenziell an den Kollegen weiter, der ihm morgens zuerst begegnet. Das Wort „Anstand“ gilt zudem als konservativ. Wer sich häufig entschuldigt wird belächelt, wer auch im Großraumbüro jeden grüßt, irritiert angesehen. Reaktionen die zeigen: Höflichkeit ist eben keine Selbstverständlichkeit mehr.
Dabei ist Benehmen nicht nur auf Umfangsformen bezogen. Auch ein angemessener Dresscode signalisiert Höflichkeit und letzten Endes Respekt. Durch den Faktor Homeoffice hat sich hier beispielsweise eine gewisse Schludrigkeit eingeschlichen. Nicht nur ist der Kapuzenpullover in so manch einem Meeting unangemessen. Zu legere Arbeitskleidung wirkt sich auch negativ auf die Leistungsfähigkeit aus, wie die Zeit berichtet. In den sozialen Netzwerken finden sich indessen mehr und mehr Plädoyers für gute Manieren im Umgang miteinander. Janina Kugel, ehemaliges Vorstandsmitglied und Aufsichtsrätin bei Siemens, ist „zunehmend über die Dreistigkeit von Herrn und Frau Wichtig erstaunt“. Niemand hält mehr die Tür für die nachfolgende Person auf, im Aufzug wird gedrängelt, Meetings verlaufen mehr emotional aus rational. Eine neue Form der Dreistigkeit: Bewerber melden sich nicht zurück oder Mitarbeiter, die das Arbeitsverhältnis kündigen, erscheinen von heute auf morgen nicht mehr im Büro. Ihrer Meinung nach sei es das Mindeste, miteinander zu sprechen.
Die goldenen (Grund)Regeln
Und eben jener Tipp ist bereits leicht umzusetzen und effizient. Oder, wie es Anahita Thoms, Partnerin bei Baker McKenzie, in einem LinkedIn-Post formuliert:
„Meine einfache Formel für gute Umgangsformen: respektvoll, situationsbezogen und adressengerecht kommunizieren und agieren.“
Für die Praxis haben wir Euch hier ein kurzes Regelwerk zusammengestellt:
- Begrüßung
Wer einen Raum betritt, der grüßt. Dazu zählt der Fahrstuhl ebenso wie der Konferenzraum oder das Wartezimmer. Laut Knigge gilt eine hierarchische Begrüßung, unabhängig vom Geschlecht. Die Chefin würde so vor dem Sekretär begrüßt werden.
2. Abstand halten
Wer an der Supermarktkasse schon einmal den Atem eines Fremden im Nacken gespürt haben wird es wissen: Es gibt ein „zu nahe Kommen“. Die Distanzzone liegt zwischen 60 und 100 Zentimetern und sollte auch im Büroalltag eingehalten werden. Ohne Maßangabe lässt sich als Faustregel definieren: Wer das Parfüm des Gegenübers riechen kann, ist zu nah.
3. Die Anrede beachten
Wer einen Doktortitel besitzt, hat in der Regel hart dafür gearbeitet. Verständlich, dass entsprechend Wert darauf zu legen ist. Auch lohnt es sich, die Email nochmals gegenzulesen um zu sehen, ob die Autokorrektur aus dem Nachnamen ein Lebensmittel oder anderes Geschlecht gemacht hat. Ein „sehr geehrte/r“ ist je nach Belangen keine Pflicht, das „Du“ oder ein formloses „Hallo“ sollte allerdings nicht zu früh und ohne vorheriges Angebot verendet werden. Übrigens: Das „Du“ bietet in der Regel die Frau an, unabhängig von Alter und Hierarchie.
4. Verlässlichkeit
Das eigene Wort sollte Bedeutung haben. Umso wichtiger ist es dafür, dass Zuverlässigkeit eine Tugend ist. Sei es nun in Sachen Pünktlichkeit, wenn es darum geht, auf Absprachen zu reagieren oder Termintreue.
5. Tischmanieren
Sei es nun das Geschäftsessen, oder die gemeinsame Mittagspause mit Kollegen. Wer schmatzt, schlürft und mit vollem Mund spricht, gilt nicht als bevorzugter Tischnachbar. Der Knigge gibt stattdessen vor: Die linke Hand liegt beim Essen neben den Teller. Nicht unter dem Tisch. Und sollten man anschließend einen Zahnstocher benötigen, schickt sich die Anwendung nicht vor versammeltem Publikum.
Wer sich all das nicht merken kann oder will, der sollte sich im Zweifel fragen: Wie möchte ich behandelt werden? Als Mitmensch oder auch als Kunde.
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