Betriebliche Altersvorsorge: Während in manchen Berufsgruppen wie den Lokführern ein erbitterter Streit um die Betriebsrente entfacht ist, gibt es zeitgleich Branchen, in denen diese Form der Absicherung noch keine Rolle spielt. Thomas Haub, Geschäftsführer der Compension Deutschland GmbH, und Spezialist im Bereich betrieblicher Versorgung, kennt dieses Spannungsfeld aus dem Beratungsalltag nur zu gut. Er gibt Tipps, wie die bAV branchenübergreifend zu alter Stärke finden kann.
Gesamtüberblick über die Rentenversorgung ist mangelhaft
Den Menschen fehle der gesamtheitliche Durchblick über ihre Rentenversorgung, fasst Thomas Haub eines der Hauptprobleme zusammen. Seine Aussagen werden gestützt von der Studie „House of Finance“ aus dem Jahr 2018, die in Kooperation mit der Goethe Universität Frankfurt entstanden ist. Rund 70 Prozent der Befragten gaben an, ihr Alterseinkommen nicht richtig einschätzen zu können. Ebenfalls zeigte sich, dass besonders im höheren Gehaltssektor die Befragten dazu neigten, ihre Renteneinkommen zum Teil stark überschätzen.
Die Studie offenbarte ebenfalls, dass die Bereitschaft zunahm, sich mit der betrieblichen Altersvorsorge auseinanderzusetzen, je besser die gesamtheitliche Aufklärung zur Rentenversorgung war. „Sie sind dann deutlich offener, mehr Geld für die Altersvorsorge umzuwidmen“, verdeutlicht Haub die Ergebnisse. Experten wie Andreas Hackethal von der Goethe Universität fordern daher: „Wer den Bürgern Sicherheit bei der Rente verschaffen will, sollte für Durchblick sorgen.“ Ein „einfach zu handhabendes“ Instrument, das jeder selbst benutzen könne, sieht er als sinnvollen Lösungsansatz – möglicherweise in dem Online-Portal der deutschen Rentenversicherung LV, das voraussichtlich in den kommenden zwei Jahren eingeführt wird.
Unwissenheit führt zu Unterversorgung
Die Spuren dieser Unsicherheit angesichts der Altersvorsorge zeigen sich im Beratungsalltag der Vermittler. Die Durchdringungsquote der bAV liege laut Thomas Haub bei nicht mehr als 40 Prozent. „Wenn wir ehrlich sind, ist das Thema in allen Einkommensklassen noch immer überall deutlich unterbesetzt.“ Eine Ausnahme seien größere Firmen wie beispielsweise Daimler oder Porsche, die eine reine Arbeitgeberfinanzierung vorhalten und damit ihre Mitarbeiter abdeckten. Auch setzten sich Kunden ab dem 40. Lebensjahr mehr mit dem Thema Betriebsrente auseinander als die jüngere Generation.
„Der Niedriglohnsektor ist nahezu hundert Prozent unterversorgt.“
Das Gros der Menschen allerdings ist noch nicht ausreichend über eine Betriebsrente abgesichert oder gar informiert. Besonders der Niedriglohnsektor verzeichnet laut Haub eine vernichtende Resonanz: „Nahezu hundert Prozent unterversorgt“, fasst es der Experte zusammen. In Berufen wie etwa in der Pflege, Gastronomie oder Zeitarbeit „findet das Thema kaum bis gar nicht statt“. Einen Grund sieht er in der durchaus verständlichen Tatsache, dass diese Menschen von dem ohnehin schon geringen Lohn nicht zusätzlich Teile abgeben wollen und vielfach auch nicht können.
Unterversorgte Branche erreichen
Wie also gewinnen Vermittler eben jene unterversorgte Branchen? Thomas Haub sieht den Ansatz – entgegen der bisherigen Beratung – beim Arbeitgeber. Die bAV müsse aus Arbeitgebersicht neu gedacht werden. Arbeitgeber müssen für eine arbeitgeberfinanzierte Lösung gewonnen werden. Erfolgsversprechende Beratungsansätze sieht der bAV-Experte über den Weg der Betriebsräte und Tarifpartner. „Hier müssen wir es schaffen, zukünftige Gehaltssteigerungen in einer Kombination aus Bar- und Versorgungslohn zu etablieren.“ Entscheidend sei dabei die ganzheitliche Beratung. Das Kredo des bAV-Experten lautet: Weg vom Produkt, hin zum Konzept. „Das Thema gesetzliche Absicherung muss allen klar sein und transparent verdeutlicht werden.“
„Wir merken, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter über mannigfaltige Kanäle aufklären und dazu digitale Angebote wie Apps und Software nutzen.“
Ist die Betriebsrente erst in den Köpfen der Unternehmen angekommen, dann ist der Weg zum Angestellten nicht mehr weit. „Wir merken, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter über mannigfaltige Kanäle aufklären und dazu digitale Angebote wie Apps und Software nutzen.“ Die Beratung erfolgt dabei meist durch automatisierte Beratungsstrecken und nicht nur im persönlichen Gespräch. Denn so könne der Mitarbeiter das Informationstool bequem zu Hause nutzen, erklärt Haub. Auf diesem Wege ließen sich auch „dezentral immer mehr Menschen erreichen“.
Vermittler brauchen Mut in der Beratung
Dabei müssten Vermittler allerdings die Beratung mutig angehen, rät der bAV-Experte, und dürften sich auch von bereits bestehenden Rahmenvereinbarungen nicht abschrecken lassen. „Wenn wir mit den neuen Themen Verwaltung, Digitalisierung und Automation an den Arbeitgeber herantreten, dann ist der Markt so groß wie damals 2002.“ Mit eben diesen Themen und Beratungswegen können sie Arbeitgeber erreichen, ist sich Thomas Haub sicher. „Der Kuchen ist noch nicht verteilt.“
Dank der Digitalisierung sei die Beratung auch flexibler möglich. Und in zweiter Linie hätten Vermittler durch digitale Beratungsprozesse und Verwaltungslösungen ebenfalls die Chance, ihre Zielgruppe um jüngere Menschen zu erweitern. Eine Zielgruppe, die gemeinhin als versicherungsscheu gilt, aber zugleich eine ausgeprägte Affinität zu Onlineprodukten aufweist. Im besten Fall könnten jüngere Kunden „an einer Stelle wie bei Amazon auf kaufen klicken und alles weitere wird im Hintergrund sowohl für Arbeitnehmer als auch -geber erledigt.“
Titelbild und Beitragsbild: © Thomas Haub