Kulturthema Gehalt: Warum der Lohn (k)ein Betriebsgeheimnis ist

„Sag mal, was verdienst Du denn eigentlich so?“. Eine Frage, die zumindest Deutsche Arbeitgeber häufig von vorne herein durch eine Klausel im Arbeitsvertrag unterbinden möchten. Doch ist das rechtens? Und warum scheint die Mehrheit der Arbeitnehmer auch von sich aus daran festzuhalten, während das Thema Gehalt in anderen Ländern zum Smalltalk gehört?

Durchschnittsgehälter sind kein Geheimnis

Wie undurchsichtig, beziehungsweise privat das Thema Gehalt unter den Deutschen gehandhabt wird, zeigt sich schon allein daran, dass die Mehrheit nicht einmal das Gehalt des eigenen Partners kennt. Die dahingehende Erziehung beginnt bereits früh. „Über Geld spricht man nicht“ ist ein Credo, das viele seit Kindestagen lernen und bis ins Erwachsenenalter verinnerlichen. Dabei geht es vor allem um sozialen Status. Denn während bekannt ist, dass das Durchschnittseinkommen in Deutschland bei 49.200 Euro liegt, ist logisch, dass diese Theorie bei weitem nicht jeden betrifft. Denn: Die Durchschnittsgehälter der jeweiligen Berufsgruppen sind ebenso statistisch einsehbar – für jedermann.

Das führt nicht nur zu einer finanziellen, sondern zwangsläufig auch sozialen Schere, die im Zweifel Ansehen und Prestige kostet. Das Understatement der Deutschen ist, wie in vielen mittel- und westeuropäischen Ländern, kein Klischee, sondern gelebte Realität. Wer also „zugibt“ ein niedriges Gehalt zu verdienen, läuft Gefahr, sozial degradiert zu werden, während sich Besserverdiener genötigt fühlen, ihr scheinbar zu hohes Gehalt rechtfertigen zu müssen. Die pragmatische Lösung: Schweigen.

Sind vertragliche Regelungen zulässig?

Diese Methode – oder besser: Einstellung – ist auch im Sinne vieler Arbeitgeber. Entsprechende Arbeitsvertragsklauseln, die Mitarbeitenden verbieten, über ihr Gehalt zu sprechen, sind keine Seltenheit. Der Grund liegt auf der Hand: Wer sich am Besserverdiener unter den Kollegen misst, verlangt auch selbst mehr Gehalt. Aber sind diese Klauseln auch bindend? Nein, sagt Fachanwalt für Arbeitsrecht Markus Diepold im Interview mit dem Spiegel: „Noch immer findet man in Arbeitsverträgen häufig Verschwiegenheitsklauseln, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu verpflichten, ihr Gehalt vertraulich zu behandeln – auch gegenüber Kolleginnen und Kollegen. Solche pauschalen Klauseln werden von der Rechtsprechung als unzulässig betrachtet. Denn: Die Gerichte sehen das Gespräch über das Gehalt als einzige Möglichkeit, um zu erfahren, ob man gleich behandelt wird.“ Abgesehen von bestimmten Ausnahmen, wie beispielsweise Mitarbeitern der Personalabteilung, denen bei Bruch dieser Klausel Geld- oder Freiheitsstrafen drohen, ist eine entsprechende Klausel im Vertrag also ungültig.

Tatsächlich gibt es in Deutschland seit 2017 sogar eine Regelung die besagt, dass Betriebe mit mehr als 200 Mitarbeitern die Gehaltsspanne für vergleichbare Positionen offenlegen müssen. Allerdings nur, wenn Angestellte danach fragen und sie sich selbst in einer ähnlich hohen Stelle befinden.

Andere Länder, andere Sitten

Die Verschwiegenheit und oder Zurückhaltung der Deutschen beim Thema Gehalt bedeutet trotz kulturellem Unterschied nun aber nicht, dass Angestellte in anderen Ländern damit hausieren. Laut gehaltsvergleich.com gehen sie jedoch deutlich transparenter damit um. Welche Rolle das soziale Ansehen spielt, zeigt sich vor allem bei den US-Amerikanern. „Zeigen, was man hat“, gehört hier zur gelebten Kultur. Wer es vom Tellerwäscher zum Millionär schafft, der ist stolz darauf und lässt das auch gerne seine Mitmenschen wissen. Geringverdiener haben in der kulturellen Ansicht theoretisch die gleiche Chance auf Reichtum, wie die, die es bereits geschafft haben. Warum also zurückhalten? In Ländern wie China oder Indien sehen die Menschen gesellschaftliche Schichten zudem als gegeben an, wodurch Neid und Missgunst weniger tief verwurzelt sind.

Innerhalb Europas gilt Skandinavien als Vorreiter in Sachen Gehaltstransparenz. Sowohl in Schweden, als auch Norwegen und Finnland ist gesetzlich verankert, dass die Einkommensverhältnisse eines jeden Bürgers eingesehen werden können. Die jeweilige Ausnahme: Das Königspaar. Während Gegner des Systems kritisieren, dass eine solche Transparenz Besserverdiener ins Visier von Verbrechern rückt, zeigt sich in der Praxis vor allem eins: Fortschritt. In Island ist es inzwischen verboten, Frauen weniger Gehalt zu zahlen als den männlichen Kollegen. Ob die Theorie auch gelebte Praxis ist, lässt sich dank entsprechender Transparenzmodelle leicht nachvollziehen.

Tabuthema Finanzen?

Wenn sich die Deutschen nun also ein Beispiel an der Gesetzgrundlage sowie internationalen Kollegen nehmen, erkennen sie, dass offene Gespräche über das Thema Geld durchaus dem eigenen, finanziellen, Vorteil zuträglich sind. Ungleichheiten lassen sich aufdecken und nachvollziehen, erfolgreiche Karrieren und Werdegänge können als Vorbild für die eigenen Finanzen genutzt werden. Das gilt in letzter Konsequenz nicht nur für Gehalt, sondern auch für Altersvorsorge und Anlagestrategien. Eine Offenlegung aller Einkommensverhältnisse wie am Beispiel Skandinavien wird es in Deutschland zwar vermutlich nicht so bald geben. Vielleicht lohnt es sich daher also, bei den Kollegen mal direkt nachzufragen.

Titelbild: © Jacob Lund/stock.adobe.com

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