Im „War for Talents“ ist es entscheidend, sich als Arbeitgeber entsprechend zu profilieren. Während Arbeitnehmer die Qual der Wahl haben, stehen Unternehmen zueinander in Konkurrenz um die besten Mitarbeiter. Doch mit welchen Argumenten entscheiden Firmen das Rennen für sich? Was sind Elemente, die das Zünglein an der Waage sein können? Und was gilt inzwischen als selbstverständlich? Fakt ist: Recruiting muss neu gedacht werden – besonders im Assekuranz-Bereich.
Der War for Talents: (K)eine Momentaufnahme
Zunächst einmal sei ganz klar festgehalten, dass es sich beim „War of Talents“, also dem Kampf um qualifizierte Mitarbeiter, keinesfalls um eine vorübergehende Trenderscheinung der vergangenen Jahre handelt. Tatsächlich kam der Begriff erstmals im Jahr 1997 innerhalb einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey auf. Der Kontext des US-Amerikaners Steven M. Hankin bezog sich schon damals auf Mitarbeiter mit hohem Potential und qualifizierten Abschlüssen, um die es sich zu kämpfen lohnt.
Obwohl die Studie beinahe ein Vierteljahrhundert zurückliegt, befasste sie sich schon damals mit den beginnenden Schwierigkeiten einiger Unternehmen, Stellen – und insbesondere Schlüsselpositionen – mit geeigneten Kandidaten zu besetzten. Seither hat sich das Problem keinesfalls gebessert. Im Gegenteil. Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge rechneten drei Viertel der deutschen Unternehmen mit Schwierigkeiten, im Jahr 2022 neue Mitarbeiter für sich gewinnen zu können. Noch gravierender: „Mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen glaubt auch, ihre bisherigen Arbeitskräfte nicht halten zu können.“ Eine dramatische Vorahnung, bei 50 vor allem internationalen Unternehmen aus Deutschland, aber auch Österreich, mit rund 413 000 Beschäftigten. Interessant ist dabei auch, dass der Fachkräftemangel zwar international die Märkte dominiert, Deutschland im globalen Schnitt jedoch deutlich hinterherhinkt.
Aufholbedarf
Verallgemeinert liegt dem Fachkräftemangel der demographische Wandel zu Grunde. Oder einfach gesagt: Wo kein Nachwuchs, da auch keine Mitarbeiter. An welchen Stellschrauben deutsche Unternehmen allerdings drehen könnten, um verfügbare Mitarbeiter für sich zu gewinnen, lässt sich mit einem Blick auf die internationale Konkurrenz erkennen. Gerade England und die Vereinigten Staaten haben erkannt, dass „High Performer“ nicht mehr nur ausschließlich mit einem attraktiven Gehalt zu locken sind. Und auch, wer hier ergänzend an den altbekannten „Obstkorb für alle“ denkt, macht es sich zu leicht.
Im SZ-Interview erklärt Florian Frank, beim Versicherungsmakler und Unternehmensberater WTW zuständig für Beratung rund um Arbeitsweltthemen und Vergütungsmodelle: „Was es braucht, sind zusätzliche Angebote für etwas, das Personaler „Wellbeing“ getauft haben, die den Mitarbeitenden das Leben angenehmer machen sollen.“ Dazu gehören beispielsweise Coachings, Beratung, Altersvorsorge und Geldanlage, Sportangebote, ärztlicher oder psychologischer Rat via Telemedizin sowie Stressbewältigung und ähnliches. Übrigens: Homeoffice und flexible Arbeitszeiten sind für fortschrittliche Arbeitgeber zwar nicht mehr wegzudenken, dass die vier-Tage-Woche jedoch kein Patentrezept ist, stellt Prof. Dr. Lutz Bellmann im Podcast-Interview klar.
Hat die Assekuranz das Recruiting verschlafen?
Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Artikel der Schweizer Handelszeitung. Oder viel mehr mit der Antwort. Dem Beitrag zufolge hat die Versicherungswirtschaft nämlich schlichtweg übersehen, dass sich die Arbeitswelt und auch deren Protagonisten weiterentwickeln. Gerade die Corona-Pandemie fungierte hier als Katalysator. Digital machten einige Versicherer zwar große Schritte, allerdings: „Vor allem Nachwuchs im MINT-Bereich wie IT-Spezialisten, Aktuare oder Risk Engineers, aber auch Profile im direkten Kundenkontakt wie Underwriter und Sales sind zunehmend Mangelware.“ Und entsprechende Besetzung braucht es besonders – auch in den kommenden Jahren.
Es seien Berufe, die nicht trotz, sondern wegen einem zunehmenden Aufkommen von Maschinen und Algorithmen mehr denn je gefragt sein werden. Der Bedarf an entsprechenden Spezialisten in einer so datenintensiven Branche wie der Finanzwirtschaft nimmt daher, so die Prognose, tendenziell zu- und nicht ab. Die größte Herausforderung: Die nachfrage sämtlicher Branchen ist in eben jenem Bereich groß. Nur können andere Sparten den Bewerbern laut HZ oft mehr Anreize bieten: „Viel zu lange arbeitet die Branche schon mit veralteten finanziellen Anreizsystemen. Die neueren Generationen mit dem ihnen nachgesagten Sicherheitsbedürfnis vermögen diese Anreizsysteme nur noch bedingt anzusprechen.“ Was die WWK als „Fair Company“ auszeichnet, berichtet Christina Schinz, Projektleiterin der Initiative, im Interview.
Stichwort: Talent Management
Den Rahmen zu überarbeiten reicht vermutlich nicht aus, um Arbeitsplätze in der Finanzwirtschaft grundlegend attraktiver zu machen. Zumindest nicht, um gegen die branchenübergreifende Konkurrenz zu bestehen. Das Talent-Management muss in das Zentrum des Unternehmens rutschen. Zudem sollten Unternehmen laut HZ die folgenden Punkte hinterfragen:
- Analyse der Einstellungsbedarfe kritischer Funktionen inklusive Forecast.
- Erarbeitung auf die Zielgruppe zugeschnittener, innovativer Rekrutierungsmethoden.
- Bindung der bestehenden Talente bei einem echten Verständnis ihrer Bedürfnisse.
Zudem sei unterstrichen, dass dies mit dem Gesamtimage der Branche steht und fällt. Wer also bereits ein Musterbeispiel in der Unternehmenskultur verankert hat, der sollte dies auch zeigen. Oder, wie Christiane Schneider, Bereichsleiterin Personal bei der WWK, im Standpunkt Podcast sagt: „Mitarbeiter sind unsere wichtigsten Botschafter“.
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