Alle Vermittler erzählen ihren Kunden, dass sie ihre Arbeitskraft absichern müssen – das größte Vermögen, das die meisten Menschen besitzen. Die Antwort auf eine der wichtigsten Fragen bleiben Vermittler aber oft schuldig, obwohl sie den Kunden am meisten interessiert: Wann bin ich eigentlich berufsunfähig? Wann bekomme ich die versicherte BU-Rente tatsächlich ausgezahlt?
Abgestellt wird auf den Grad der Berufsunfähigkeit. In den Bedingungen ist das dann beispielsweise so formuliert:
Die versicherte Person ist berufsunfähig, wenn folgende Bedingungen
vorliegen:
Die versicherte Person kann ihren Beruf für voraussichtlich mindestens sechs
Monate ununterbrochen zu mindestens 50 Prozent nicht mehr ausüben
oder
sie konnte ihren Beruf sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 Prozent nicht ausüben und dieser Zustand dauert an.
Die 50-Prozent-Frage
Entscheidend ist neben der zeitlichen Prognose („voraussichtlich sechs Monate”) in den meisten Verträgen die 50-Prozent-Klausel. Das bedeutet: Erst, wenn ich zu mindestens 50 Prozent nicht mehr fähig bin, meinen Job auszuüben, bekomme ich die Leistung von der Versicherung. Aber wann sind die 50 Prozent erreicht? In der Praxis kann es um diese Frage schnell Streit geben: 36,61 Prozent aller abgelehnten BU-Leistungsanträge sind nach der Statistik des Analysehauses Morgen und Morgen darauf zurückzuführen, dass der Mindestgrad der Berufsunfähigkeit von 50 Prozent nicht erreicht wird.
Ob tatsächlich eine Berufsunfähigkeit vorliegt, prüft der Versicherer anhand der Tätigkeiten, die der Kunde zuvor ausgeübt hatte. Danach schaut er sich die Einschränkungen an, die der Kunde geltend macht. Zuletzt bewertet der Versicherer, wie viel Prozent der früheren Tätigkeiten aufgrund der Einschränkungen nicht mehr möglich sind.
Qualitative und quantitative Aspekte entscheiden
Dabei spielt unter anderem der Faktor Zeit eine größere Rolle. Ein Beispiel: Wer früher acht Stunden am Stück stehend gearbeitet hat und jetzt keine Stunde mehr am Stück stehen kann, gilt vermutlich als berufsunfähig. Aber was, wenn das Stehen noch für fünf Stunden möglich ist? Besteht dann keine Berufsunfähigkeit?
Ganz klar: Die Abwägung erfordert Zeit und viel Expertise. Kein Wunder, dass oft zusätzlich Experten wie etwa Gutachter eine nähere Einschätzung vornehmen. Neben der quantitativen erfolgt darum eine qualitative Bewertung, bei der der Versicherer prüfen muss, aus welchen Teilbereichen sich die Tätigkeit des Kunden zusammensetzt. Wie prägen diese Teilbereiche den Job und ist der Versicherte in der Lage, bestimmte Teiltätigkeiten auszuüben?
Am häufig bemühten Beispiel eines Schifffahrtslotsen zeigt sich diese Komponente. Seine Kerntätigkeit ist es, Schiffe bei der Fahrt in den und aus den Hafen heraus auf der Brücke zu begleiten. Kommt er nicht an Bord, weil er die Leiter am Schiff nicht mehr hochklettern kann, dann ist er vollständig berufsunfähig. Auch, wenn er die Arbeit auf der Brücke, die ja wahrscheinlich 80,90 Prozent seiner Tätigkeit ausmacht, problemlos erledigen kann.
So simpel das Beispiel des Schifffahrtslotsen ist, in den meisten anderen Bereichen ist die Abgrenzung deutlich komplizierter. Das gilt vor allem für psychische Beschwerden – eine der Hauptursachen für die Berufsunfähigkeit. Der Grund: Einen Bandscheibenschaden kann man medizinisch einwandfrei feststellen, eine psychische Erkrankung sieht man eben nicht mit der MRT. Hier kann nur eine umfangreiche Beweisaufnahme helfen, den Grad der Berufsunfähigkeit festzustellen. Was der Versicherte selbst tun kann? Je genauer er seine gesundheitlichen Probleme und deren Auswirkungen im Job aufführen kann, desto nachvollziehbarer wird es für den Versicherer.
Wie wird eine BU bei Teilzeitkräften ermittelt?
Manchmal kommt es vor, dass Arbeitnehmer die Arbeitszeit reduzieren wollen oder müssen. Die Frage ist dann: Bezieht sich die 50-Prozent-Grenze auf die volle Arbeitszeit oder auf die reduzierte? Klar ist, dass Vollzeitarbeitende, die nur noch drei von acht Stunden arbeiten können, häufig als berufsunfähig eingestuft werden. Doch wie sieht das aus, wenn es Kurz- oder Teilzeitarbeitskräfte sind? Wenn sie von ihren üblichen vier Stunden nur noch drei Stunden lang tätig sind, könnte der Versicherer die Berufsunfähigkeit zumindest auf der quantitativen Seite ablehnen.
Aber nicht nur die Rechtsprechung tendiert dazu, als Maßstab für die Bewertung einer Berufsunfähigkeit die Vollzeittätigkeit anzunehmen. Immer mehr BU-Verträge arbeiten zudem mit sogenannten Teilzeitklauseln, die den Schutz von Teilzeitbeschäftigten besonders hervorheben. Vermittler sollten Teilzeitkräfte dahingehend gezielt informieren!
Sonderfall Selbstständige
Auch bei Selbstständigen ist eine gezielte Beratung notwendig. Denn die müssen sich zusätzlich auch mit der Umorganisationsklausel auseinandersetzen, die eine zusätzliche Hürde darstellt. Die Klausel kann dazu führen, dass eine mehr als 50-prozentige Berufsunfähigkeit trotzdem nicht zur Leistung führt, wenn der Selbstständige durch eine Umorganisation seines Betriebes noch über 50 Prozent der Aufgaben wahrnehmen kann. Ganz wichtig – auch für das Beratungsgespräch: Das Aufgabengebiet nach der Umorganisation muss der Stellung als Unternehmensinhaber angemessen sein und die Umorganisation muss wirtschaftlich zumutbar sein. So kann der Versicherer bei kleineren Firmen nicht verlangen, dass einfach ein Ersatz für den Chef eingestellt wird. All diese „Fallstricke“ zeigen auf jeden Fall eines: das A und O für eine passende Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine ausführliche und kompetente Beratung.
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