Arbeitszeugnisse klingen oft überschwänglich – auch bei eher durchschnittlichen Leistungen. Mit einem geschulten Blick kann man jedoch Ungereimtheiten erkennen. Experte Jürgen Hesse erklärt, was bei Arbeitszeugnissen zu beachten ist.
Wenn jeder eine Eins bekommt
Was ist das viele Lob wert? Das fragen sich viele Arbeitgeber, die die Arbeitszeugnisse von Bewerbern auf der Suche nach einem passenden Mitarbeiter durchlesen. Das Problem dabei: Arbeitszeugnisse müssen „wohlwollend“ formuliert sein. „Als Reaktion darauf haben Arbeitgeber Wege gefunden, Formulierungen zu benutzen, die zwar freundlich klingen, aber im Endeffekt eine Ohrfeige sind. Man denke nur an die Wendung: ‚Er hat sich bemüht‘ – das bedeutet im Endeffekt, er hat nichts zustande gebracht“, erklärt Jürgen Hesse, Experte für Bewerbungs- und Karriereberatung.
Nur: Arbeitsgerichte kennen diese Formulierungen auch. „Selbst wenn der Arbeitgeber nur ein durchschnittliches Zeugnis ausstellt, muss er sich dafür schon rechtfertigen. Er muss beweisen können, dass der Arbeitnehmer nicht genug geleistet hat und das ist sehr schwierig. Deshalb stellen Arbeitgeber in der Regel lieber ein besseres Zeugnis aus, auch wenn der Arbeitnehmer vielleicht nicht so viel geleistet hat“, so Hesse.
„Das führt dazu, dass es im Grunde nur Zeugnisse gibt, sich sich zwischen den Noten sehr gut und zwei minus bewegen“. Hesse spricht sogar von einer „Inflation von sehr guten und guten Zeugnissen“. Eine Note drei sei schon ein Risiko für den Arbeitgeber.
Deshalb sei die Erstellung des Arbeitszeugnisses auch der falsche Moment, um als Arbeitgeber seine Unzufriedenheit auszudrücken oder sich als Richter aufzuspielen, warnt Hesse.
„Wenn der Vorgesetzte nicht unterschrieben hat, dann ist das eine Ohrfeige“
Doch welche Aussagen kann ein Arbeitszeugnis nun liefern? Hesse hat dafür folgende Indikatoren nach Wichtigkeit identifiziert:
- Position/Aufgaben/Verantwortung/Verweildauer des Bewerbers
- Ausführlichkeit und Länge des Zeugnisses
- Ausstellungsdatum/Unterschrift
- Abschlussformulierung mit Zukunftswünschen/Dank/Bedauern/Beendigungsformel/Grund
- Zufriedenheitsaussagen zu Verhalten und Leistung
Hesse rät, die Angaben im Arbeitszeugnis zur Anstellungsdauer, Position und Aufgaben erst einmal mit denen im Lebenslauf zu vergleichen und zu prüfen, ob das Gesamtbild passt. War der Bewerber bei der vorherigen Stelle nur ein halbes Jahr, hat aber ein vierseitiges Zeugnis vorzuweisen? Das nährt den Verdacht, dass das Zeugnis selbst geschrieben sein könnte, urteilt Hesse.
Er rät auch, auf die Unterschrift und das Ausstellungsdatum zu achten. Ein krummes Datum könnte darauf hinweisen, dass der Arbeitnehmer das Unternehmen vorzeitig verlassen hat. Bei der Unterschrift kann man prüfen, ob sie von einem Vorgesetzten, dem Assistent oder vielleicht sogar dem Praktikanten stammt. „Wenn der Vorgesetzte nicht unterschrieben hat, dann ist das eine Ohrfeige“, erklärt Hesse.
Dank und Bedauern zum Schluss
Ebenso lohnt es sich, ein Blick auf die Zukunftswünsche zu werfen. Denn ein Arbeitnehmer hat kein Recht auf ein Dankeswort und gute Wünsche im Schlusssatz. „Wenn am Schluss kein Dank und kein Bedauern ausgesprochen wird, dann fehlt etwas. Das zeigt, dass das Zeugnis vergiftet ist“, erklärt Hesse.
Allerdings kann es bei Formulierungsfehlern auch sein, dass der Aussteller seinen früheren Mitarbeiter gar nicht schlecht bewerten wollte, sondern vielleicht einfach nicht weiß, wie ein korrektes Arbeitszeugnis auszusehen hat. Handelt es sich bei dem früheren Arbeitgeber also um ein etabliertes großes Unternehmen, das wissen sollte, wie ein korrektes Zeugnis auszusehen hat – oder eher nicht?
Der Gesamteindruck entscheidet schlussendlich – laut Hesse kann man sich dabei auch auf seine Intuition verlassen.
Titelbild ©Halfpoint/stockAdobe.com / Beitragsbild: © Jürgen Hesse