Außer es geht um Spucke. Denn: „Wer dran geleckt hat, dem gehört es.“ Zumindest laut geschwisterlichem Gesetz aus Kindertagen. Doch was, wenn sich mal jemand nicht an den geschwisterlichen Ehrenkodex hält? Es muss nicht gleich im Streit enden. Die Beziehung zwischen Geschwistern kommt gleichermaßen mit Liebe wie mit Rivalität. Es sind viele verschiedene Einflüsse, die darüber entscheiden, welche der Emotionen überhandnimmt und wie sich die Dynamik zwischen Geschwistern im Laufe der Jahre entwickelt. Das Verhalten innerhalb der Familie hat starke Auswirkungen auf Verhaltensweisen im späteren Leben – besonders, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen und das Leben in Gemeinschaft geht. Und schließlich prägt diese Erfahrung viele von uns: Allein in Deutschland wachsen drei von vier Kindern mit Geschwistern auf. Wir werfen einen Blick auf die wohl komplizierteste Verbindung, die dennoch nie ganz bricht.
Das Kind im Erwachsenen
Die Kindheit ist eine enorm prägende Zeit, die weitreichende Auswirkungen auf das Verhalten als Erwachsener mit sich zieht. In zwischenmenschlichen Situationen und in Gemeinschaften oder Gruppen, vor allem wenn diese Beziehungen noch am Anfang stehen, verhalten sich Menschen, ohne dass es ihnen bewusst ist, oft wie in ihren geschwisterlichen Beziehungen. Sie übernehmen das Verhalten, das sie als Kinder beim Umgang mit ihren Geschwistern verinnerlicht haben. Der Spiegel erklärt:
„Was Schwestern und Brüder miteinander erleben, prägt nicht nur ihr Verhältnis. Es beeinflusst, wie sie über die Welt denken, wie sie in Partnerschaften oder im Beruf zurechtkommen, wie sich ihr Selbstwertgefühl und ihre Identität entwickeln.“
Kain und Abel
Geschwister, genau wie Familie im Allgemeinen, kann man sich nicht aussuchen. Viele ältere Geschwister freuen sich über den Zuwachs: Verantwortung übernehmen, einen neuen Freund gewinnen. Doch leider läuft es nicht immer so ab. Laut Spiegel leiden etwa zehn bis 15 Prozent der Kinder unter ihren Geschwistern. Dies kann sich von kindlichen Schikanen wie Beleidigung, Verpetzen, Ausgrenzung bis hin zu schweren Misshandlungen, Demütigungen und körperlichen Verletzungen erstrecken. Einer Studie des österreichischen Instituts für Familienforschung zufolge, können es, je nach Definition, auch zehn bis 50 Prozent der Kinder sein, die zumindest zeitweise mit diesen Problemen zu kämpfen haben. Jedoch gibt es laut SZ noch nicht genügend Untersuchungen, wie schwerwiegend die Folgen solcher Belastungen in der Kindheit tatsächlich sind. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass eine Tendenz zu Misstrauen, Depression und genereller Zurückgezogenheit im Erwachsenenleben besteht. Das Leben in der Gemeinschaft wird schwerer. „Die mögliche Auswirkung von Übergriffen unter Geschwistern auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen sollte nicht unterschätzt werden“, heißt es in der SZ.
Hänsel und Gretel
Rivalität gehört bei Kindern dazu. Doch eine geschwisterliche Beziehung lässt sich nur sehr schwer zerstören. Auch wenn kein Kontakt mehr bestehen sollte, sind diese Menschen für immer miteinander verbunden. Idealerweise führen aber selbst Streitereien aufgrund fundamental unterschiedlicher Ansichten, nicht zu einem Kontaktabbruch. „Da ist bei allen Gegensätzen eine unzerstörbare Gemeinschaftlichkeit“, erklärt das Kind einer Großfamilie im Interview mit dem Spiegel.
Bei Familien, in denen mindestens drei Kinder, meistens mehr, in einem Haushalt zusammenwohnen, lassen sich interessante Verhaltensmuster erkennen. Die Mutter hat wenig Zeit, um sich um den Haushalt und alle Kinder gleichermaßen zu kümmern. Die älteste Tochter einer zehnköpfigen Familie zum Beispiel musste oft Aufgaben der Mutter übernehmen. 14 Jahre Altersunterschied liegen zwischen ihr und ihrem jüngsten Bruder. Für ihr späteres Leben hat sie so sehr früh wichtige Eigenschaften erlernt:
„Ich kann Verantwortung übernehmen und mich auf unterschiedlichste Menschen einstellen. Das habe ich durch meine Geschwister gelernt.“
Andererseits gibt es auch eine Schattenseite. So beklagt sie sich, zu viel Verantwortung zu übernehmen und zu wenig auf eigene Bedürfnisse zu achten.
Das jüngste Kind einer großen Familie zieht derweil andere Lehren: Die Jüngsten schauen oft zu ihren älteren Geschwistern auf und lernen, dass es auch in schwierigen Situationen Menschen gibt, die einem helfen und auf die man sich verlassen kann. Gleichzeitig führt ihr Bedürfnis dazugehören zu wollen dazu, sich anzupassen, anstatt auf ihrer Meinung zu beharren. „Ich gehöre immer zu einer Gemeinschaft, deren Regeln andere bestimmen“, erzählt das jüngste Kind einer Familie.
Klar ist: Egal ob positive oder negative Erfahrungen – das Zusammenleben mit Geschwistern hat starke Einflüsse auf das spätere Leben. Die Beziehung zu ihnen kann Verhaltensweisen im Erwachsenendasein bestimmen. Während natürlich auch Einzelkinder ähnliche Lektionen lernen, sind diese stärker von den Eltern geprägt und davon abhängig, wie viel Zeit sie mit Gleichaltrigen verbringen. Eine entsprechende Prägung wirkt sich so wahrscheinlich auch auf zukünftige Entscheidungen aus. Sei es privat, in finanzieller Hinsicht oder auch im eigenen Verhalten gegenüber anderen.
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